Durch die Strassen von New York - Teil 1

Kalt blies der Wind durch die Gassen von New York. Es war einer der kältesten Winter, die es je gegeben hat. Langsam und schleppend ging eine schmale Gestalt durch die leere Strasse. Sie zögerte, wusste nicht wohin. Als sie an der nächsten Gasse vorbeikam, bog sie ab. Sie ging bis zum Ende der Gasse und kauerte sich in die Ecke. Die Gestalt entpuppte sich als ein Junge. Verzweifelt und ohne Heimat kauerte er da seufzend und wimmernd. Was solle er nur tun, fragte er sich weinend.

Alles hat dieser Junge verloren. Heimat, Schutz, Familie. Es ging sehr schnell: Ein Blitz, ein Blick zur Seite, ein Geisterauto, ein Knall. Jegliche Hoffnung war sinnlos. Die Ärzte gaben dann Gewissheit.

Natürlich kam das Jugendamt, natürlich kam er ins Heim. Doch niemand wollte ihn, niemand nahm ihn. Er sei so verstörend, sagte man, so unheimlich. Man möchte lieber ein fröhlicheres Kind, sagte man. Doch warum sollte er lachen? Ohne Familie, ohne Schutz, ohne Liebe?

Und so, immer älter werdend, wurde aus ihm ein Erwachsener. Auf dem Papier zumindest. Und damit sagte man ihm: „Lebe wohl! Und auf nimmer Wiedersehen.“ Dann schloss man die Türe und verriegelte diese, vor seiner Nase. So stand er da, ohne Heimat, ohne Schutz, ohne Familie und ohne Liebe in der kältesten Zeit des Jahres mit nichts als einem zerlumpten Jäckchen und einem seidenen, aber von Motten zerfressenen Schal, den seine Mutter einst getragen.

Wieder fragte er in den Himmel, was solle er nur tun, welche Chancen hätte er denn noch. Und ein zitterndes Donnern kam zur Antwort. Er sank den Kopf, erschöpft vom Schluchzen, und nieder fielen seine Lieder. Hoffend auf einen guten Traum, versank sein Bewusstsein ins Dunkle.

Er stand da, vor der Kreuzung, am Fussgängerstreifen. Rechts von ihm sein Vater, der seine grosse und grobe Hand schützend vor ihm hielt als Andeutung, er solle nicht weitergehen. Des Vaters Blick war auf die Strasse gerichtet, seine Ohren lauschten auf die kommenden Autos. Links von dem kleinen Jungen stand seine Mutter, die ihre zarte und liebliche Hand um seine schloss. Sanft drangen ihre Worte zu ihm: „Nicht so schnell, mein Sausewind! Wir haben alle Zeit der Welt.“

Das letzte Auto fuhr an ihnen vorbei und sie setzten sich in Bewegung. Er fühlte sich wohl und beschützt zwischen seinen Eltern, als ob nichts auf dieser Welt sie in diesem Moment trennen konnte. Doch dann plötzlich: Ein grelles Licht von der Seite. Es schlenkerte, kam immer näher in rasender Geschwindigkeit. Der Junge wird zur Seite geschubst. Ein Schrei, Bremsen quietschten. Dann kam ein Knall.

Völlig perplex lag der kleine Junge am Boden. Er fing an zu weinen, ohne zu wissen aus welchem Grund. Er rappelte sich auf, seine Hände und Knie waren blutig vom Asphalt aufgeschürft. Dumpf hörte er Menschen, die durcheinander schrien. Einige entsetzt, andere wimmernd. Instinktiv rief er nach seinen Eltern. Immer wieder rief er, torkelte dabei durch die Gegend. Dann wurde es schwarz und er erwachte.

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